Wir haben für den Gesellschafter eines internationalen Immobilienunternehmens zwei einstweilige Verfügungen am Landgericht Köln gegen eine rechtswidrige Verdachtsberichterstattung der Bild (Axel Springer Deutschland GmbH) erwirkt.
Die Bild hatte in identifizierender Weise durch Abbildung eines nur unzureichend verpixelten Fotos sowie Nennung des Vornamens und des abgekürzten Nachnamens des Unternehmers über ein Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft u.a. wegen des Verdachts auf Geldwäsche berichtet.
Das Landgericht Köln hat auf die Anträge von BROST CLAßEN die Berichterstattung in gerichtlichen Eilverfahren untersagt, weil hierdurch die Persönlichkeitsrechte des Unternehmers verletzt wurden. Die Voraussetzungen für eine identifizierende Verdachtsberichterstattung lagen aus mehreren Gründen nicht vor. So hat das LG Köln in beiden Beschlüssen festgestellt:
„Es fehlt bereits am Vorliegen des erforderlichen Mindestbestandes an Beweistatsachen, die für das Zutreffen des Verdachtes sprechen. Die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens reicht hierfür nicht aus. Gleiches gilt für die Durchführung von Durchsuchungen. Für die Durchführung einer Durchsuchung ist in Deutschland wie auch für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens derselbe Verdachtsgrad, das Vorliegen eines Anfangsverdachts, erforderlich (BeckOK StPO/Hegmann, 47. Ed. 1.1.2023, StPO § 102 Rn. 1). Mithin wird nur die bloße Möglichkeit einer Straftat geprüft; der niedrigste mögliche Verdachtsgrad, den die StPO kennt. Weitere Verfahrensschritte wie der Erlass eines Haftbefehls oder die Erhebung einer Anklage liegen nicht vor.
Zudem überwiegt das Anonymisierungsinteresse des Antragstellers im derzeitigen Verfahrensstadium das Interesse der Antragsgegnerin an einer identifizierenden Berichterstattung. Es sind die Grundsätze der Unschuldsvermutung zu beachten, wonach oftmals jedenfalls bis zu einem erstinstanzlichen (nicht notwendig rechtskräftigen) Schuldspruch das Recht des Beschuldigten auf Schutz der Persönlichkeit das Interesse an einer identifizierenden Berichterstattung überwiegt […]“
Die Bild hat die einstweiligen Verfügungen durch sogenannte Abschlusserklärungen als endgültige Regelungen anerkannt. Die Rechtsverletzungen konnten somit schnell und endgültig beendet werden.
„Durch die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens beginnt erst die Aufklärung ungeklärter Strafvorwürfe. Zu diesem Verfahrenszeitung gilt uneingeschränkt die Unschuldsvermutung. Diese ist durch das grundsätzliche Verbot einer identifizierenden Verdachtsberichterstattung abgesichert. Nur in absoluten Ausnahmefällen darf bereits zu diesem frühen Verfahrenszeitpunkt identifizierend berichtet werden. Medien haben hier oft ein gegenläufiges Interesse: Personalisierung und Skandalisierung versprechen Aufmerksamkeit („Klicks“). Und Aufmerksamkeit ist die vielleicht knappste Ressource in der heutigen Medienwelt. Der effektive Schutz von Betroffenenrechten wird auch vor diesem Hintergrund immer wichtiger.“
Anwalt für Presserecht / Schutz vor Verdachtsberichterstattung
Die Kanzlei BROST CLAßEN ist auf das Presserecht spezialisiert. Die Anwältinnen und Anwälte der Kanzlei führen regelmäßig Verfahren zu Fällen im Bereich der Verdachtsberichterstattung. Einen Schwerpunkt stellt zudem die präventive Beratung bei drohender kritischer Medienberichterstattung dar.
Aus presserechtlichen Gründen ist der Sachverhalt anonymisiert geschildert. Nachfragen zum Verfahren können an Anwalt Dr. Jörn Claßen gerichtet werden.
„Verdachtsberichterstattung und Unschuldsvermutung im Spannungsverhältnis“
Eine ausführliche Auseinandersetzung mit den Grundsätzen der Verdachtsberichterstattung finden Sie in dem aktuellen Beitrag von Dr. Jörn Claßen, der auch in dem o.g. Fall vertreten hat, in der Neuen Juristischen Wochenschrift (NJW 2023, 3392): „Verdachtsberichterstattung und Unschuldsvermutung im Spannungsverhältnis“. Hieraus:
„Eine Verdachtsberichterstattung ist in der Regel mit schwerwiegenden Folgen für den Betroffenen verbunden. Die Person steht öffentlich am Pranger und wird oftmals für den Rest ihres Lebens mit den Vorwürfen in Verbindung gebracht; ganz gleich, ob sich diese später als falsch herausstellen, denn etwas bleibt immer hängen. Aufgrund dieser Gefahren ist eine Verdachtsberichterstattung nur ausnahmsweise und bei strenger Einhaltung der Zulässigkeitsvoraussetzungen berechtigt. Wenn Medien diese Voraussetzungen einhalten, Missstände aufdecken und sachlich hierüber informieren, dann leisten sie einen wichtigen gesellschaftlichen Beitrag. Leider wird die sachliche Information im Kampf um die knappe Ressource der öffentlichen Aufmerksamkeit zunehmend durch eine Skandalisierung ersetzt. Dies geht zulasten der Persönlichkeitsrechte des Betroffenen und langfristig auch zulasten der Glaubwürdigkeit von Medien.“
Zulässigkeitsvoraussetzungen einer Verdachtsberichterstattung
Nach ständiger Rechtsprechung des BGH (NJW 2023, 3233 Rn. 21 m.w.N.) sind dies die Voraussetzungen einer zulässigen Verdachtsberichterstattung:
„Erforderlich ist jedenfalls ein Mindestbestand an Beweistatsachen, die für den Wahrheitsgehalt der Information sprechen und ihr damit erst ,Öffentlichkeitswert’ verleihen. Die Darstellung darf ferner keine Vorverurteilung des Betroffenen enthalten; sie darf also nicht durch präjudizierende Darstellung den unzutreffenden Eindruck erwecken, der Betroffene sei der ihm vorgeworfenen Handlung bereits überführt. Auch ist vor der Veröffentlichung regelmäßig eine Stellungnahme des Betroffenen einzuholen. Schließlich muss es sich um einen Vorgang von gravierendem Gewicht handeln, dessen Mitteilung durch ein Informationsbedürfnis der Allgemeinheit gerechtfertigt ist.“
Diese Voraussetzungen müssen kumulativ eingehalten werden. Da eine Verdachtsberichterstattung zudem nur ausnahmsweise bei Vorliegen eines Rechtfertigungsgrundes (§ 193 StGB) zulässig ist, sind strenge Maßstäbe an die Einhaltung der Zulässigkeitsvoraussetzungen anzulegen.