Geschrieben von Ref. iur. Luisa Jakobs und Dipl.-iur. Max Kuttenkeuler
Mit Urteil vom 30. Januar 2024 entschied das Landgericht Braunschweig, dass der Online-Dienst Twitch das Konto des Streamers „Kuchen-TV“ nicht ohne weiteres sperren durfte. Dieser Fall bietet die Gelegenheit, sich näher damit auseinanderzusetzen, welchen Regelungen Plattformen wie Twitch unterliegen und welche Handlungsoptionen bestehen, wenn das eigene Konto – wie hier – plötzlich gesperrt wird.
Vorangegangen war dem Urteil ein Streit zwischen den Twitch-Streamern KuchenTV (Tim Heldt) und Shurjoka (Pia Scholz). Die beiden Meinungsblogger befanden sich in einem mehrere Monate andauernden Konflikt, den sie – teils mit sehr persönlichen Vorwürfen – über ihre Streams austrugen. Am 8. Dezember 2023 spitzte sich die Auseinandersetzung zu. An diesem Tag soll KuchenTV in einem Stream Äußerungen getätigt haben, die Twitch als Verletzung ihrer Richtlinien verstand. Twitch sah sich daher – mutmaßlich auf eine Meldung Shurjokas hin – veranlasst, das Konto des Streamers zu sperren. Konkret wirf Twitch KuchenTV vor, seine Äußerungen seien „aufgrund eines persönlichen Traumas“ belästigend.
Wichtig für den späteren Rechtsstreit: Die Sperre nahm Twitch vor, ohne KuchenTV vorzuwarnen bzw. ihm Gelegenheit zur Stellungnahme zu den Vorwürfen zu geben.
Während der fast zwei Monate andauernden Sperre konnte KuchenTV mit seinen Streams über die Plattform keinerlei Einnahmen generieren. Er ging gegen Twitch vor und gewann den Rechtsstreit.
Das Urteil zur Twitch-Sperre im Fall „KuchenTV“
Das Gericht urteilte, Twitch habe das Konto nicht sperren dürfen, ohne
- KuchenTV von der beabsichtigten Sperrung vorab zu informieren,
- ihm die der Sperrung zugrundeliegenden Aussagen zu nennen und
- ihm die Möglichkeit zur Gegendarstellung einzuräumen.
Zudem hätte Twitch jedenfalls im Gerichtsverfahren darlegen müssen, welche konkreten Äußerungen des Streamers sie zur Sperrung bewegt haben. Dem kam Twitch nicht nach.
Plattformregeln – wie kommt es zu einer Sperre?
Plattformnutzern steht aufgrund des Nutzungsvertrags ein Recht auf Zugang zur Plattform zu. Verhält sich ein Nutzer aber in strafrechtlich relevanter Weise oder verstößt gegen die Richtlinien der Plattform, dann darf diese hiergegen vorgehen. Denn geht es um strafbare Handlungen eines Nutzers, kann die Plattform unter Umständen neben dem Nutzer haften. Zudem hat sie ein schützenswertes Interesse daran, auch im Sinne ihrer Nutzer die Einhaltung der Richtlinien zu gewährleisten.
Vgl. hierzu OLG Hamburg, Beschl. v. 29.06.2022 – 15 W 32/22:
„Es ist unstreitig und gerichtsbekannt, dass sich die [Plattform] im Rahmen des Nutzungsvertrags gegenüber den Nutzern verpflichtet, diesen ihre Produkte und Dienste zur Verfügung zu stellen, um ihnen die Möglichkeit zu geben, mit anderen Nutzern in Kontakt zu treten und sich mit ihnen auszutauschen […]. Daraus folgt, dass die [Plattform] Beiträge, die die [Nutzer] in ihr Netzwerk eingestellt haben, nicht grundlos löschen darf. […] Dies muss erst recht gelten, wenn die [Plattform] nicht nur einzelne Beiträge löscht, sondern die gesamte -Seite über einen längeren Zeitraum deaktiviert, so dass deren kompletter Inhalt nicht mehr einsehbar ist.“
Die möglichen Gründe für eine Twitch Sperre
Twitch gibt klare Verhaltensregeln vor, deren Missachtung je nach Schwere des Verstoßes zu vorübergehenden oder dauerhaften Sperrungen führen kann. Zu den Hauptgründen für eine Sperre gehören:
- Verstöße gegen Gemeinschaftsrichtlinien und Nutzungsbedingungen: Dazu zählen Belästigungen, Hassreden, Gewaltdarstellungen und andere Formen schädlichen Verhaltens
- Urheberrechtsverletzungen: Unberechtigtes Streamen urheberrechtlich geschützter Inhalte kann schnell zur Sperrung führen
- Spamming: Das exzessive Versenden von Nachrichten oder Spam birgt das Risiko einer Account-Sperre
- Betrug und Scamming: Betrügerische Aktivitäten sind auf Twitch strengstens untersagt
- Account-Phishing oder -Hacking: Der Versuch, Zugang zu den Accounts anderer Nutzer zu erlangen, wird konsequent bestraft
- Nicht altersgerechter Content: Die Missachtung von Altersbeschränkungen kann ebenfalls zu Sanktionen führen
Vorgaben für ein Sperr-Verfahren
Twitch und andere Plattformen müssen dennoch gewisse Vorgaben einhalten, wenn sie einen Nutzer-Account sperren wollen. Dieser Gedanke ergibt sich aus der vertraglichen Verpflichtung der Plattform und dem Grundrecht des Plattformnutzers auf freie Meinungsäußerung. Die Regeln, an die sich Plattformen halten müssen, bevor sie eine Sperre vornehmen dürfen, sind durch Rechtsprechung geformt. Die Grenzen zulässiger Meinungsäußerung können schwierig abzustecken sein und eine Sperre ist eine folgenschwere Maßnahme. Aufgrund dessen muss ein Nutzer jedenfalls wissen, was ihm vorgeworfen wird und Stellung beziehen können, um gegebenenfalls auch Missverständnisse ausräumen zu können.
Gründe für Twitch-Sperre müssen mitgeteilt werden
So müssen Plattformen grundsätzlich zunächst auf den Nutzer zugehen und diesen darüber informieren, dass ihm eine Sperre droht. Zudem ist die Plattform dazu verpflichtet, dem Nutzer den konkreten Vorwurf offenzulegen und ihm die Gelegenheit einzuräumen, sich hierzu zu äußern.
Vgl. hierzu BGH, Urteil vom 27.01.2022 – III ZR 12/21:
„Mit der verfassungsrechtlich gebotenen Abwägung der einander gegenüberstehenden Grundrechte […] verbinden sich verfahrensrechtliche Anforderungen. Insbesondere muss die [Plattform] die ihr zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternehmen. […] Hier stellt die Anhörung des Äußernden ein wichtiges Mittel der Aufklärung dar“
Bereits in ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen („AGB“) müssen Plattformen ein solches Verfahren vorsehen, BGH, Urteile vom 29.07.2021 – III ZR 179/20; III ZR 192/20:
„Der Anbieter des sozialen Netzwerks hat sich jedoch in seinen Geschäftsbedingungen zu verpflichten, den Nutzer über die Entfernung seines Beitrags […] und über eine beabsichtigte Sperrung seines Nutzerkontos vorab zu informieren, ihm den Grund dafür mitzuteilen und eine Möglichkeit zur Gegendarstellung einzuräumen, an die sich eine Neubescheidung anschließt, mit der die Möglichkeit der Wiederzugänglichmachung des entfernten Beitrags einhergeht. Fehlt eine entsprechende Bestimmung in den Geschäftsbedingungen, sind diese gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam.“
Hält eine Plattform das vorgegebene Sperr-Verfahren nicht ein, ist die Sperre unzulässig.
Eine sofortige Sperre darf nur in besonders schwerwiegenden Ausnahmefällen und in der Regel erst nach mehrfachen Verstößen erfolgen.
Mit spezialisiertem Anwalt gegen eine Account-Sperre vorgehen
Erfolgt eine unzulässige Account-Sperre, bestehen Möglichkeiten, sich hiergegen zur Wehr zu setzen. Unzulässig gesperrte Nutzer haben einen Anspruch auf Freischaltung ihres Accounts. Daneben bestehen je nach Einzelfall Chancen, auch Schadensersatzleistungen von der Plattform zu erwirken. Denn wenn ein Nutzer über die Plattform Einnahmen generiert und die Account-Sperre nicht hätte erfolgen dürfen, kann die Plattform gegebenenfalls dazu verpflichtet sein, durch die Sperre entgangene Gewinne zu ersetzen.
Twitch bietet auf help.twitch.tv ein offizielles Verfahren, um Einspruch gegen eine Sperrung einzulegen. An dieser Stelle sollten betroffene Nutzer genau darlegen, weshalb die Sperre so nicht hätte vorgenommen werden dürfen. Twitch ist daraufhin verpflichtet, sich mit den vorgebrachten Einwänden auseinanderzusetzen und über den Ausgang der Prüfung zu informieren. Den Einspruch können Nutzer selbst oder mit Hilfe eines Anwalts einlegen.
Wir klären Sie gerne darüber auf, welche gerichtlichen und außergerichtlichen Möglichkeiten darüber hinaus bestehen, Ansprüche gegen Twitch oder andere Plattformen durchzusetzen. Unsere Anwältinnen und Anwälte sind telefonisch, per E-Mail oder Video-Call unkompliziert erreichbar.