Das Landgericht Münster hat auf Antrag von BROST CLAßEN im gerichtlichen Eilverfahren mehrere Artikel über Strafvorwürfe und ein Ermittlungsverfahren untersagt. In den Artikeln wurde der Name des Betroffenen zwar nicht genannt, er wurde aber durch zahlreiche andere personenbezogene Angaben erkennbar gemacht. Die Voraussetzungen für eine sog. Verdachtsberichterstattung hatte die Lokalzeitung nicht eingehalten. Hierdurch wurden die Persönlichkeitsrechte des von BROST CLAßEN vertretenen Betroffenen verletzt.
In dem Urteil hat das Landgericht die Voraussetzungen für eine Verdachtsberichterstattung lehrbuchmäßig abgehandelt, was im Folgenden dargestellt wird:
Erkennbarkeit des Betroffenen in einer Verdachtsberichterstattung
Für die Erkennbarkeit im presserechtlichen Sinn ist es bei einer Verdachtsberichterstattung ausreichend, wenn der Betroffene aufgrund der Angaben in der Berichterstattung für seinen Familien- und Bekanntenkreis erkennbar ist. Hierfür reichen Teilinformationen aus. Der Name muss im Artikel nicht zwingend genannt sein.
Aus dem Urteil:
„Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist eine Erkennbarkeit des Betroffenen zu bejahen, wenn er auf Grund der mitgeteilten Umstände hinreichend erkennbar wird. Hierfür ist die Nennung des Namens, auch in abgekürzter Form, nicht unbedingt erforderlich; es kann bereits die Übermittlung von Teilinformationen genügen, aus denen sich die Identität für die sachlich interessierte Leserschaft ohne weiteres ergibt oder mühelos ermitteln lässt (BGH, Urt. v. 21.6.2005 – VI ZR 122/04; OLG Köln Urt. v. 14.6.2018 – 15 U 157/17; OLG Dresden, Urt. v. 5.9.2017 – 4 U 682/17). Dafür kann unter Umständen die Schilderung von Einzelheiten aus dem Lebenslauf des Betroffenen oder die Nennung seines Wohnortes oder seiner Berufstätigkeit ausreichen (LG Köln, Beschl. v. 27.4.2020 – 28 O 131/20). Es ist nicht entscheidend, ob alle oder ein erheblicher Teil der Leser oder gar die Durchschnittsleser einer Zeitung die gemeinte Person identifizieren können. Das Grundrecht kann schon dann betroffen sein, wenn über das Medium der Zeitung persönlichkeitsrechtsverletzende Informationen an solche Leser geraten, die auf Grund ihrer sonstigen Kenntnisse (etwa des beruflichen oder persönlichen Umfelds des Betroffenen) in der Lage sind, die Person zu identifizieren, auf die sich der Bericht bezieht (BVerfG, Beschl. v. 14.7.2004 – 1 BvR 263/03).“
Aufgrund zahlreicher orts- und personenbezogener Angaben in der Berichterstattung hat das Landgericht eine Erkennbarkeit im presserechtlichen Sinn angenommen.
Grundsätze der Verdachtsberichterstattung – vier Voraussetzungen
Nach der genommenen Hürde der Erkennbarkeit hat das Landgericht zu den Grundsätzen der Verdachtsberichterstattung wie folgt ausgeführt:
„Die Berichterstattung über einen Verdacht setzt einen Mindestbestand an Beweistatsachen voraus. Die Darstellung darf keine Vorverurteilung des Betroffenen enthalten; sie darf also nicht durch präjudizierende Darstellung den unzutreffenden Eindruck erwecken, der Betroffene sei der ihm vorgeworfenen Handlung bereits überführt. Auch ist vor der Veröffentlichung regelmäßig eine Stellungnahme des Betroffenen einzuholen. Schließlich muss es sich um einen Vorgang von gravierendem Gewicht handeln, dessen Mitteilung durch ein Informationsbedürfnis der Allgemeinheit gerechtfertigt ist (BGH, Urt. v. 31.5.2022 – VI ZR 95/21, beckonline Rn. 24; BGH, NJW 2022, 1751, beck-online, Rn. 27; BGH NJW 2022, 940 beck-online Rn. 18 mwN; BGH, Urt. v. 18.11.2014 – VI ZR 76/14).“
Die Lokalzeitung hatte hier drei der vier Voraussetzungen nicht eingehalten. Es lag kein Mindestbestand an Beweistatsachen für die Vorwürfe vor. Der Betroffene wurde vor der Berichterstattung nicht ordnungsgemäß angehört. Die Vorwürfe waren zudem nicht von so großem Gewicht, dass eine identifizierende Berichterstattung hierüber gerechtfertigt war.
Strafanzeige oder Einleitung eines Ermittlungsverfahrens für Verdachtsberichterstattung nicht ausreichend
Das Landgericht hat hervorgehoben, dass eine Strafanzeige oder Einleitung eines Ermittlungsverfahrens für die Annahme eines Mindestbestandes an Beweistatsachen nicht genügt. Denn die Staatsanwaltschaft hat schon beim Vorliegen eines Anfangsverdachtes, also der niedrigsten Verdachtsstufe, Ermittlungen aufzunehmen. Strafanzeige kann sogar ohne jeden berechtigten Anlass erstattet werden.
Weil die Voraussetzungen der Verdachtsberichterstattung nicht eingehalten wurden, hat das Gericht die Berichterstattung im Eilverfahren untersagt. Bei Zuwiderhandlungen gegen das gerichtliche Verbot droht dem Verlag ein Ordnungsgeld bis zu 250.000 €.
„Eine Berichterstattung über Strafvorwürfe kann Betroffenen den Boden unter den Füßen wegziehen. Zwar gilt auf dem Papier die Unschuldsvermutung. Trotzdem steht im Raum, dass an der Sache auch „etwas dran sein“ könnte. Und selbst bei einer Verfahrenseinstellung bleibt von den Vorwürfen oftmals „etwas hängen“. Eine Verdachtsberichterstattung ist daher nur unter strengen Voraussetzungen zulässig. Diese Voraussetzungen stehen in keinem Gesetz. Sie haben sich aus einer zunehmend ausdifferenzierten Rechtsprechung heraus entwickelt. Sowohl materiell- als auch verfahrensrechtlich sind bei dieser rechtlichen Spezialmaterie zahlreiche Aspekte zu beachten. Nur eins ist oft gewiss: Die Arbeit auf Betroffenenseite beginnt meist mit der Presseanfrage vor der sich ankündigenden Berichterstattung. Der Startschuss für stressige Stunden und Tage.“
Verdachtsberichterstattung – Beratung durch spezialisierten Anwalt
Die Anwälte der Kanzlei BROST CLAßEN beraten Behörden, Unternehmen, Verbände sowie Personen und bekannte Persönlichkeiten in medienrechtlichen Angelegenheiten.
Aus presserechtlichen Gründen ist der Sachverhalt anonymisiert geschildert. Nachfragen zur Gerichtsentscheidung können an Anwalt Dr. Jörn Claßen gerichtet werden.
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